Von Montag bis Freitag mit einem Budget von 24,20€ für einen Singlehaushalt oder 86,60€ für eine Alleinerziehende mit drei Kindern von 1-6 Jahren, Lebensmittel einkaufen, kochen und satt werden, ist das möglich?
Samstag Morgen – ausgeschlafen – ein leckerer Espresso, ein Lächeln und Aufatmen! Fünf Tage mit einem begrenzten Budget einzukaufen und sich darüber hinaus nichts Weiteres leisten zu können, wie fühlt sich das an?
Es ist anstrengend – mein Einkauf hat doppelt so lange gedauert, ich habe mir vorher einen genauen Plan gemacht, was ich brauche, um mich möglichst ausgewogen und gesund zu ernähren, dennoch vergleiche ich im Supermarkt jeden Artikel, schaue noch einmal nach, ob es nicht noch irgendwo ein Angebot gibt oder das gleiche Produkt für ein paar Cent weniger. Am Ende kostet mein Einkauf knapp 19,00€, wobei ich kein Öl und keine Gewürze gekauft habe, dies habe ich noch zu Hause und den Verbrauch berechne ich mit 3,00€ für die fünf Tage. Der Wocheneinkauf meiner Kollegin hat ca. 23,00€ gekostet – ein Euro zur freien Verfügung – ein oder zwei Brötchen sind da wohl noch drin. Es liegen leckere Lebensmittel vor uns, Obst, Gemüse, Linsen, Joghurt – zunächst einmal Alles, was man so braucht.
Morgens: Joghurt und Obst, als Zwischenmahlzeit eine Orange oder einen Apfel, weil die im Angebot waren, zum Mittag Kürbis, Karotten, Tomatensauce, Nudeln mit Ei – keine Vielfalt – zur Zwischenmahlzeit ein Knäcke oder wieder ein Apfel oder eine Orange – am Abend ein kleiner Salat oder Brot mit Käse, besser gesagt: eine von diesen geschmacksneutralen gelben Scheiben! Ausgeschlafen, der nächste Tag beginnt, wie der davor oder der davor – satt sind wir geworden, auch relativ ausgewogen, aber jeden Tag gab es das Gleiche und es war kein Geld mehr da, um den Apfel durch eine Kaki oder den Kürbis durch Spinat zu ersetzen!
Freunde zum Essen oder Kaffee und Kuchen einzuladen, unvorstellbar – das Wenige was man hat zu teilen und am Ende der Woche womöglich nur noch einen Apfel übrig zu haben!
Neidvoll blicke ich auf den Salat mit Süßkartoffel, Humus und Joghurtsoße meiner Kollegin. Dieses Gefühl von Neid entsteht nicht, weil mein Essen nicht lecker ist, sondern weil ich nicht die Option habe den Salat für 4,90€ vom Bistro um die Ecke zu essen. Ein Besuch im Restaurant um die Ecke mit Freunden erscheint völlig fern – also doch der Kamillentee für 0,49€ in der WG-Küche!
Mein Umfeld reagierte mit Entsetzen auf das Budget für Lebensmittel für die Woche. Alle baten ihre Hilfe an, wollten einen auf den leckeren Café mit dem cremigen Milchschaum, den du doch so lecker findest, einladen – die kleine Packung Honig, die beim Frühstück im Café übrig geblieben ist, wird mir zugesteckt. Die Solidarität und die Hilfsbereitschaft ist riesig, es entstehen schöne und reflektierte Gespräche über unser Konsumverhalten und über Armut in Deutschland. Viele waren überrascht, wie hoch der Hartz 4 Regelsatz ist und für wie viele Menschen dies Realität und Alltag ist. In den Kreisen, in denen man sich aufhält, bekommt man selten Armut und echten Verzicht mit. Familien oder Personen, die im Hartz 4 Bezug sind, haben häufig nicht den Bekannten- und Freundeskreis, der sie finanziell unterstützen kann.
Ich höre jetzt schon den ein oder anderen sagen, dass das zum Leben ausreichend ist und das wir ja bewiesen hätten, dass man mit dem Budget haushalten kann! Dem kann ich auf den ersten Blick zunächst nichts entgegensetzen. Wir haben Labor aufgebaut, wo äußere Einflüsse unsere Testreihe nicht beeinflussen konnten, dennoch haben wir schon das Gefühl sozialer Ausgrenzung empfunden. Spontan abends mit Freunden ins Restaurant, ein Abendessen für Freunde kochen – keine finanziellen Möglichkeiten. Unsere Gespräche drehten sich um Geld und wie viel die unterschiedlichen Produkten kosten und was wir uns jetzt nicht leisten können: der Einkauf im Biomarkt, der Wochenmarktbesuch am Samstag – keine finanziellen Möglichkeiten! Was die Woche aber auch bewirkt hat, sein eigenes Konsumverhalten zu reflektieren und zu hinterfragen, muss es das Chia-Goji-Matcha-Reisflocken Müsli sein oder sind ein paar Haferflocken mit Rosinen nicht ebenso lecker und vollkommen ausreichend?!?
Das Experiment und die Reflexion haben wir natürlich vor einem sehr privilegierten Hintergrund gemacht, denn die Angst am Ende des Monats die Kühlschranktür zu öffnen und einen leeren Raum vor sich zu haben, war für uns nicht real. Privilegiert aufgewachsen, die Möglichkeit zu haben sich zu bilden und den Raum zu haben sein Leben selbst bestimmen zu können und nicht von Ängsten und Nöten leiten zu lassen, hat uns für das Experiment andere Startvorraussetzungen geboten. Kinder und Erwachsene, die schon im Verzicht groß geworden sind und keine Möglichkeit bekommen haben unterschiedliche Perspektiven aufs Lebens zu entwickeln, sind sehr gefangen in Alltagsnöten und -ängsten und haben viel existentiellere Herausforderungen wie wir!
Wir haben einen kleinen Einblick in den Alltag der Familien, die bei uns Mitglied sind, erhalten und können besser nachempfinden, was es bedeutet Alltag zu bestreiten, wenn du sehr begrenzte finanzielle Ressourcen hast und wie wenig Möglichkeiten man hat!
Kurz zusammengefasst – Was nehme ich mit? Ich habe Privilegien, die anderen versperrt sind, ich habe Freunde und Familie, die mich nebst der emotionalen Unterstützung, auch finanziell unterstützen können, ich kann meinen Alltag selbst lenken und er wird nicht bestimmt durch Ängste, die mich lähmen. Ich habe die Wahl, wo ich einkaufen gehen möchte und was.
Seid aufmerksam, schaut Euch in eurer Nachbarschaft um, vielleicht braucht da eine Person oder eine Familie eure/unsere Unterstützung, Zuspruch und Hilfestellungen – manchmal reicht auch schon ein Gespräch oder ein Lächeln, aber schaut nicht weg!