Ein Reporter des Tagesspiegels hat ein jeweils fünftägiges Praktikum in zwei Kitas in Schöneberg absolviert, denn er wollte sie andere Seite kennenlernen, nicht der sein, der seine Kinder immer nur in der Kita abgibt und am Nachmittag wieder abholt. Das, was er in den Kitas erlebt hat, hat ihn tief beeindruckt.

Von Fördern, Überfördern, Unterfördern und Überforderung

Zwei Kitas, etwa 800m voneinander entfernt, eine liegt im Brennpunktbezirk, eine in einem Viertel mit hohem Akademikeranteil. In der einen Kita sind die Eltern darum besorgt, dass ihre Sprösslinge die richtige vorschulische Förderung erhalten. Während sich die Eltern in dieser Kita im Streit mit den Erziehern befinden, ob die Förderangebote ausreichend sind, bietet sich in der anderen Kita, jener im Brennpunktbezirk, ein ganz anderes Bild: Die Kinder sind durchaus wissbegierig und neugierig, aber nicht immer glücklich und ausgeglichen. Die Erzieherinnen, die in dieser Kita tätig sind, wirken wie eine Art Reparaturservice für die Kinder aus den kaputten Familien, aber nicht nur für diese, sondern auch für deren Eltern sind sie wichtige Ansprechpartner.

In Kita eins scheint jedes Kind so viel Aufmerksamkeit von den Erziehern zu erhalten, dass es keine zusätzliche mehr benötigt, der Journalist, der sich als Praktikant in beiden Kitas umgesehen hat, wird von den Kindern eher ignoriert. In der Brennpunkt-Kita bietet sich dagegen ein vollkommen anderes Bild: Die Kinder bestürmen ihn, buhlen um seine Aufmerksamkeit, löchern ihn mit Fragen.

In der ersten Kita wollen die Leons, Annas und Johanns gerne Kinderarzt, Designer oder Architekt werden. In der anderen Kita erhält der Reporter des Tagesspiegels auf seine Frage an die kleine Heval, was sie denn einmal werden wolle, die Antwort: Verkäuferin bei Primark. Ein Schock, gerne würde er das aufgeweckte Mädchen, das mehrere Sprachen spricht mit in die andere Kita nehmen, damit sie mit den anderen Kindern das Krankenhaus besuchen kann, in dem Leons Vater arbeitet.

Kindergarten

Sind wir eine Ellenbogengesellschaft?

Eine Vermischung zwischen den Kindern in beiden Kitas findet aber nicht statt, die Eltern von Leon und Anna wollen ihre Kinder nicht zu Husein und Heval in die Kita schicken. Auf die Frage, warum die Durchmischung der Kindern dann nicht in die andere Richtung funktioniere, wieso Heval und Husein nicht in die Kita zu Leon, Anna und Johann kommen und so von den besseren Fördermöglichkeiten profitieren, antwortet die Leiterin im Akazienkiez:

„Hier haben wir keine Armut und auch kaum Trennungen. Wenn hier ein Kind auffällig würde, da würde das Verständnis der Eltern fehlen.“ Sie überlegt weiter. „Eigentlich nein. Das können wir hier nicht leisten.“

Dieser Satz gibt zu denken, leben wir in einer Gesellschaft, in der jeder nur für sich ist, in der wir die Grenzen so eng stecken, dass jeder in seinem Milieu verbleibt und man so wenig tolerant ist, dass Kinder nicht mit Kindern in Kontakt kommen dürfen, die aus problematischeren Verhältnissen stammen?

Zählt das Wohl einzelner privilegierter mehr, als das Wohl der Gemeinschaft?

Sicher, jeder will für seine Kinder das Beste, jeder will seine Kinder beschützen, aber wäre es nicht nachhaltig effektiver, wenn wir allen Kindern mehr Chancen zuteil werden lassen könnten, um so auf Dauer die ganze Gesellschaft zu verändern und damit allen Kindern eine bessere Zukunft bieten zu können? Und dann stellt sich auch die Frage, wieso eine Kitaleiterin in einer Einrichtung, in der es keine Probleme zu geben scheint, bei dem Gedanken an ein Kind, das nicht dem gängigen Bild in der Einrichtung entspricht, an eine Überforderung ihres Personals denkt, während in einer anderen Kita die Erzieherinnen für ihren Job brennen – fast ausbrennen – und trotzdem für die Kinder und deren Familien da sind.

KiTa1

Am Ende bleiben Fragen

Wie müssten wir das Bildungs- Schul- und Betreuungssystem in Deutschland verändern, damit alle von guter Förderung profitieren? Wer trägt die Schuld an diesen Umständen? Die Politik, die einzelnen Einrichtungen oder doch wir selbst?

Text: Julius Bertram

Bilder: pixabay, Wikimedia , Wikimedia